In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird in vielen Unternehmen reflexartig der Rotstift angesetzt: Überall und ungefiltert wird gekürzt. Doch die Geschichte zeigt: Auf jedes Konjunkturtal folgt ein Aufschwung, erste Anzeichen sind bereits sichtbar. Deshalb ist es klüger, antizyklisch zu handeln – dort zu investieren, wo der größte Hebel für künftiges Wachstum liegt. Und der liegt in Innovationen, meint Bernhard Kretschmer, Managing Director und Vice President Services bei NTT Germany.
Deutsche Unternehmen unter Druck
Deutsche Unternehmen stehen vor einem schier endlosen Potpourri an Herausforderungen: geopolitische Verwerfungen mit weitreichenden Folgen für globalisierte Lieferketten, wirtschaftlich schwierige Standortfaktoren und anhaltend hohe Energiepreise, Fachkräftemangel und ein Regulierungsdschungel, der selbst erfahrenen Managern die Schweißperlen auf die Stirn treibt.
Die Folge: Bei Investitionen in die digitale Transformation treten viele Unternehmen derzeit lieber auf die Bremse, was ein Fehler ist. Denn erstens sind intelligente Technologien unverzichtbar, um Innovationen voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Zweitens ist eine umfassende Modernisierung der Schlüssel, um in stürmischen Zeiten widerstandsfähig zu sein.
KI als Zukunftstechnologie
Damit sind wir automatisch beim Thema Künstlicher Intelligenz, für viele die Zukunftstechnologie schlechthin. Unternehmen, die KI strategisch einsetzen, gewinnen nicht nur an Effizienz, sondern können proaktiv Marktentwicklungen antizipieren und Geschäftsmodelle neu definieren.
Viele Betriebe und Organisationen mit eigenen Forschungsabteilungen, etwa in der Pharma- oder Chemieindustrie, sind in Sachen KI bereits sehr weit. Auch die Fertigungsindustrie treibt die intelligente Vernetzung ihrer Anlagen massiv voran. Andere Branchen und Unternehmen sind dagegen noch zurückhaltender. Dafür gibt es keinen Grund: Es muss beispielsweise nicht immer ein LLM, kurz für Large Language Model, sein. Kleine dedizierte Modelle mit ihrer Schwarmintelligenz sind oft die bessere Lösung. Oder KI-Agenten: Sie übernehmen die unterschiedlichsten Aufgaben nahezu selbstständig. Einfache Systeme sind bereits Bestandteil moderner Applikationen, was den Einstieg erleichtert.
Grundsätzlich gilt: pragmatisch und iterativ vorgehen. Pilotprojekte, die reale Geschäftsprobleme adressieren, helfen, Erfahrungen zu sammeln und den ROI schnell zu erzielen.
Compliance und Datenschutz im Blick behalten
Die Digitalisierung ist aber nicht nur ein Heilsbringer, sondern bringt auch Pflichten mit sich, insbesondere im Compliance-Bereich. Vorgaben wie die DSGVO und NIS2, aber auch branchenspezifische Regelungen wie DORA im Finanzsektor setzen Unternehmen unter Druck. Bei Nichteinhaltung drohen empfindliche Strafen bis hin zur persönlichen Haftung. Im gleichen Atemzug stellt sich die Frage nach dem Datenschutz und damit der Unabhängigkeit ausländischer Cloud-Anbieter.
Das Cloud-Konzept ist zwar für viele das ultimative Betriebsmodell, aber die Kronjuwelen an Daten und geistigen Eigentum möchte nicht jedes Unternehmen einem Hyperscaler anvertrauen, sondern lieber in der Private Cloud aufbewahren, was on-prem oder bei einem Colocator sein kann. In puncto Energieeffizienz wiederum lohnt sich oftmals schon aus Kostengründen der Austausch veralteter Geräte. Moderne Hardware ist heute so viel leistungsfähiger und sparsamer, dass sich ein Ersatz allein schon wegen der Stromkosten rechnen kann.
Raum für Innovation schaffen
Und damit bin ich schon bei einem Thema, das mir sehr am Herzen liegt: Unternehmen, die langfristig erfolgreich sein wollen, müssen bewusst Raum für zukunftsweisende Ideen schaffen. Oft geht im Alltagsstress die Zeit für Innovationen verloren – ein Fehler, der teuer zu stehen kommen kann.
Gerade gezielte Freiräume, etwa in Form von „Experimentiernachmittagen“, bieten hervorragende Voraussetzungen für die Entwicklung unkonventioneller Konzepte. Jeden Freitag ab 14 Uhr könnte beispielsweise ein Team aus verschiedenen Abteilungen frei von operativen Zwängen an eigenen KI-Projekten tüfteln. Am Ende präsentieren sie Prototypen oder Business Cases, die das Innovationsportfolio bereichern.
Entscheidender Wendepunkt
Die Unternehmen stehen an einem entscheidenden Wendepunkt. Die Dauerkrise ist Weckruf und Chance zugleich: Nur wer sich Innovationen öffnet, baut den notwendigen Resilienz-Puffer auf, um in unsicheren Zeiten nicht nur zu überleben, sondern nachhaltig zu wachsen. Dabei ist es essenziell, die grundlegenden digitalen Maßnahmen – also die Pflichtaufgaben – konsequent umzusetzen und gleichzeitig den Mut zu haben, auch immer mal wieder über den Tellerrand hinauszublicken.