Heute im Interview: Christian Gensch, Leiter Competence Center Insurance Consulting bei NTT DATA Deutschland. Er spricht über Digitalisierung in der Versicherungsbranche.
Frage: Wie definiert die Versicherungsbranche Digitalisierung?
Christian Gensch: Der Begriff „Digitalisierung“ sorgt für viel Wirbel in der Versicherungsbranche und schafft teilweise Unsicherheit. Dabei handelt es sich um nichts Anderes als einen natürlichen „technologischen Fortschritt“, den es für die Versicherungsbranche zu nutzen gilt. Das sehen alle Versicherungen – egal ob klassische Erstversicherung, Direktversicherung oder Rückversicherung – so. Doch fragt man nach, erkennt man, dass im Detail unterschiedliche Aussagen darüber herrschen, wie der technologische Fortschritt effektiv genutzt werden kann. Zum einen geht es, um sich ändernde Kundenbedürfnisse zum anderen um die Automatisierung der Geschäftsprozesse, insbesondere durch den Einsatz von Robotic Process Automation (RPA), aber auch um Datenmanagement und der damit verbundenen Analyse riesiger Datenmengen. Als weiterer Aspekt wird die Modernisierung der IT-Landschaft und Architektur gesehen. Dass die Definition von Digitalisierung vielschichtig ist, verdeutlicht, dass sich die Branche in großer Aufbruchstimmung befindet.
Frage: Was erwarten die Endkunden von Versicherungsunternehmen in Zeiten der Digitalisierung und wie weit sind Versicherungen in punkto digitale Transformation?
Christian Gensch: Auf Grund fortschreitender Digitalisierung stößt gerade bei der jüngeren Generation ein fehlendes Onlineangebot auf negative Resonanz. In einer eigenen Studie haben wir ermittelt, dass sich über 40% der Befragten im Alter von 18-44 Jahren schon mal über ein nicht vorhandenes Online-Angebot geärgert haben. Versicherungen ist dies bewusst.
Was viele klassische Versicherungen noch unterschätzen ist, dass die Digitalisierung eine höhere Selfservice-Bereitschaft der Endkunden mit sich bringt. So geben sehr viele der befragten Endkunden an, einfache Anliegen wie beispielsweise Adress- oder KM-Standänderungen selbst über das Online-Portal (71%) oder die mobile App (42%) zu erledigen, wenn dies möglich ist. Diese Selfservice-Bereitschaft der Kunden ist allerdings erst teilweise über die bestehenden Apps und Kundenportale der Versicherungen abgedeckt. Das ist natürlich unter dem Gesichtspunkt der Prozessoptimierung eine große Chance. Auch die Bereitschaft der Endkunden, Tarife an individuelles Verhalten zu koppeln, unterschätzen viele Versicherer.
Diese Beispiele zeigen, dass die Potenziale enorm sind, insbesondere da gleichzeitig die Kundenzufriedenheit und die Kosteneffizienz erhöht werden. Sowohl klassische Versicherungen als auch Direktversicherungen haben hier also keine Zeit zu verlieren, um im Wettbewerb gewinnen zu können.
Frage: Wie unterscheidet sich das Thema Digitalisierung der Versicherungsbranche zu anderen Industrien?
Christian Gensch: Um den Unterschied zu anderen Industrien zu verstehen, muss man die Versicherungsbranche und ihre Historie betrachten. Im Vergleich zu anderen Industrien ist die Versicherungsbranche Jahrzehnte lang in eher ruhigem Fahrwasser gefahren.
Aufgrund der bisher sehr hohen Markteintrittsbarrieren kommen Insuretechs und Quereinsteiger erst jetzt in den Markt. Das sehen viele als Bedrohung, andere als Chance zur Innovation. Auch war der Versicherungsmarkt früher eher intransparent. Jetzt in Zeiten von Vergleichsportalen spielt der Kostendruck eine viel größere Rolle und alle Möglichkeiten durch die Digitalisierung Prozesse zu optimieren müssen genutzt werden. Beispielsweise ist der Prozentsatz der kompletten Dunkelverarbeitung über alle Sparten noch recht gering und müsste erhöht werden. Außerdem verändern sich die Versicherungsprodukte und Tarifmodelle: individualisierte, adaptive und flexible Versicherungsformen werden verstärkt nachgefragt.
Die Versicherungsbranche befindet sich also in einem sehr dynamischen Zustand. Denkt man an Smart Home, das Internet der Dinge (IoT), Telematik oder in Sportbekleidung eingepasste Messtechnik wird sich die Dynamik noch stark erhöhen und zu völlig neuen Ansprüchen an Versicherungsdienstleistungen führen. Somit werden die bisher sehr statischen Versicherungsprodukte – ich denke nur an Abrechnung einmal im Jahr – plötzlich sehr dynamisch.
Frage: Was würdest Du empfehlen? Was bietet NTT DATA?
Christian Gensch: Um am Markt bestehen zu können, müssen Versicherungen flexibel und schnell neue Services anbieten können. Dazu sind eine moderne Architektur, flexible Systeme und oft eine Kooperation mit externen Serviceanbietern innerhalb und außerhalb der Industrie notwendig. Derzeit brauchen Versicherungen für das Andocken an andere Systeme im Schnitt etwa 6 Monate. Das ist aus meiner Sicht zu lang.
Auf Basis unserer Studie zur Digitalisierung von Versicherungen konnten wir viele Ansätze eruieren, die für Kunden und Versicherer von Vorteil sind. Wir unterstützen aktuell mit Strategien für digitale Betriebsmodelle, mit integrierten Omnichannel Lösungen, der Modernisierung von IT-Landschaften und Datenanalysen für Versicherungen direkt über Socials.
Vielen Dank für das Gespräch